von Berhard Hampel, Würzburg
Das ist der Versuch, die Freiheiter Geschichte der deutschen Zeit (bis 1945/46) unseres Städtchens aufzuschreiben, quasi die Weiter- oder Fortschreibung von Bernard Hampel, meinem Großvater, der 1930 verstorben ist und am Freiheiter Friedhof in der Familiengruft der Familie Hampel liegt. Er wurde 1928 von Bürgermeister Rudolf Lissak für seine Aufzeichnungen geehrt.
Das Kaiserreich, das alte Österreich,
war ein klassischer Vielvölkerstaat und schon ab etwa 1880 wurde es immer schwieriger,
die vielen Nationalitäten unter einen Hut zu bringen. Der Trend der kleinen
Völker ging damals zur Eigenständigkeit, zur Selbständigkeit. Das war bei Tschechen
und Slowaken nicht anders wie am Balkan bei Serben, Kroaten, Sloweniern und
Montenegrinern. Bei uns in Böhmen war das Tschechische auf Expansion, das Deutsche
wohl eher nicht. Das ging aber klammheimlich. Bei meinen Großeltern wie auch
bei meinem Vater gehörte das Lernen der tschechischen Sprache dazu. Mein Vater
ging in den Schulferien zu einer tschechischen Familie in die Gegend von Switschin,
um die Sprache zu erlernen. Im Umkehrschluss kamen tschechische Kinder zu uns
nach Freiheit. Dieser Kindertausch hatte Tradition, denn bei meinen Großeltern,
eine Generation vorher, war es nicht anders (1945 haben die Sprachkenntnisse
meiner Großmutter unserer Familie über den Hass, der uns gleich im Mai 1945
entgegenschlug, über manche Mißlichkeit hinweggeholfen. Mein Vater, der das
Tschechische auch gut beherrschte, denn er hatte ja auch anfangs der zwanziger
Jahre in der tschechischen Armee dienen müssen, war ja zu dieser Zeit in Iglau
im Lazarett bzw. in Gefangenschaft, aus der er nur noch mit einem Bein nach
Hause kam).
Aber zurück zur Geschichte. Der Glanz der Habsburger in Wien war über die Jahrhunderte
extrem. Das Kaiserreich war damals eine Weltmacht, vergleichbar mit Preußen,
dem Zarenreich oder Frankreich. Aber mit dem sich dem Ende zuneigenden 19. Jahrhundert
verblasste der Glanz zusehends. Ein wesentliches Ereignis war das Attentat auf
den Habsburger Thronfolger in Sarajewo im Jahre 1914, das ursächlich dazu beitrug,
wenn auch bestritten, dass der I. Weltkrieg ausbrach, den das Kaiserreich und
sein Verbündeter Deutschland 1918 verloren und kapitulieren mussten. Ein am
Boden liegendes Land, das 1918 Österreich sowie auch Deutschland waren, eröffnete
für die sich unterdrückt fühlenden Länder im Kaiserreich Tür und Tor und setzte
Energien frei. Aber 1918 verlief das im Gegensatz zu dem, was sich 27 Jahre
später ereignen sollte, noch human. Dazu später etwas.
1918 entstand ein neues
Land: die Tschechoslowakei. Zwei Volksgruppen, die sich nicht sonderlich mochten,
die aber eine gemeinsame Sprache hatten, wurden ein Staat. Die deutschsprachige
Minderheit, ca. 4,5 Millionen Menschen, wurden vereinnahmt und, gelinde ausgedrückt,
ziemlich bevormundet. Aber, es wurde von uns geschluckt und auch verkraftet,
vorerst. Der deutschen Minderheit Unglück war, dass in Deutschland durch einen
katastrophalen Niedergang, durch Inflation und extreme Arbeitslosigkeit ein
Mann aus dem rechten Sumpf hochkam. Er versprach viel und wurde immer mächtiger.
Das spürten auch die Deutschen in Böhmen und Mähren und wurden, nicht zuletzt
durch die Behandlung der Deutschen durch den tschechischen Staat, hellhörig
und hofften auf Freiheiten. Es wurde auf deutsche Demonstranten geschossen (Arnau
und anderswo), es gab Tote und Verletzte, nur weil sie ein paar Freiheiten wollten.
Die Deutschen in Böhmen wollten eine gewisse Selbständigkeit, nicht aber "heim
ins Reich", wie fälschlich uns 1945 hämisch und zynisch von den Tschechen
vorgehalten wurde. Wir wollten von den Tschechen so behandelt werden, wie heute
die Italiener die Südtiroler behandeln, die übrigens den Ruf genießen, die besten
und pünktlichsten Steuerzahler in ganz Italien zu sein! Wäre doch im Sudetenland
auch eine Möglichkeit gewesen, oder? Ich denke schon. Aber diese Weitsicht war
damals einfach noch nicht vorhanden!
Dieser unsägliche Gefreiter aus Braunau stärkte auch den Parteiführer Konrad
Henlein, der anfangs einer Partei Vorstand, die mit nazistischen Parolen gar
nichts am Hut hatte. Erst als deutsche Soldaten die Grenzen der Tschechoslowakei
überschritten, wurde Konrad Henlein und seine Partei von den deutschen Nationalsozialisten
vereinnahmt, er konnte gar nicht anders.
Für mich, als 1935 Geborener, ist
es schwer, ohne an alte Freiheiter Fragen stellen zu können, zu der Zeit zwischen
1925 (soweit hat Großvater Bernard die Ereignisse ein wenig aufgeschrieben)
und 1946 etwas zu Papier zu bringen. Ich kann also nur so ab etwa 1939 bis Mitte
1946 (Zeitpunkt meiner Vertreibung) aus eigener Erinnerung berichten. Als ein
aufgewecktes und immer interessiertes Kind habe ich so ab 1939/40 einiges mitbekommen
und anderes erfragt, ohne natürlich die Feinheiten zu erkennen. Nachfragen über
manche Zusammenhänge und Hintergründe kann man nicht mehr, denn unsere "Altvorderen"
liegen längst unter der Erde. Selbst mein früherer Arbeitskollege beim Würzburger
"Volksblatt" (Tageszeitung), Günter Ladnar, der beim Wetterhäuschen
in Freiheit wohnte und einige Jahre älter als ich war, hat schon das Zeitliche
gesegnet. Nun, ich will es versuchen, Freiheiter Geschichte bis zu meiner Vertreibung
im Juni 1946 aufzuschreiben.
Inwiefern bei den "alten" Freiheitern, die es ja fast nicht mehr gibt,
Interesse besteht, wie es in Freiheit nach der Vertreibung der Deutschen in
unserem Städtchen weiterging, müsste Herr Tichý aufschreiben, der oberhalb des
Friedhofs wohnt. Herr Tichý ist so etwas wie ein Historiker, bei dem ich eine
wunderschöne alte Ansichtskarten-Sammlung über Alt-Freiheit und das Riesengebirge
einsehen konnte.
Etwas hat man trotzdem erfahren. Nachdem die Deutschen vertrieben waren, natürlich
ohne ihr Eigentum, kam schon der kalte Hauch des Kommunismus, der nach und nach
alles total veränderte. Die Euphorie bei den Tschechen legte sich ganz schnell.
Einige Deutsche mussten bleiben, in wichtigen Positionen in den Fabriken, damit
die Produktion weitergehen konnte (Kohle, Papier, Weberei usw.). Für die "neuen
Freiheiter", so etwa ab 1947/48, kamen ganz andere Zeiten. Erst hatte Herr
Benesch 1945 seinen Untertanen gesagt: "Geht hinaus und nehmt Euch, was
den Deutschen gehört", und es wurde befolgt. Aber das Glücksgefühl bei
den Tschechen währte nicht lange. Als die neuen Freiheiter alle Häuser und den
gesamten Besitz der Deutschen vereinnahmt hatten, dauerte es gar nicht lange
und der große Bruder aus dem Osten "beglückte" die nun Besitzenden
mit der großzügigen Gabe der neuen Ordnung. Der tschechische Stalin hieß Gottwald
und er war wirklich ein schlimmer Kommunist, ein Speichellecker von Stalin.
Plötzlich war Eigentum unwichtig. Eine Tschechin aus Freiheit erzählte mir,
sie mussten im Laufe der Jahre die früheren deutschen Besitzungen, die ihnen
Herr Benesch geschenkt hatte, zweimal bezahlen. Wie der Preis war, sagte sie
mir aber nicht! Der Staat brauchte eben Geld. Welcher Staat braucht kein Geld?
Bernard Hampel, mein Großvater, Angestellter
bei der Freiheiter Sparkasse und Dirigent der Freiheiter Stadtkapelle, wurde
am 20. Oktober 1871 in Freiheit geboren und, heute würde man sagen, noch jung,
am 02.10.1930 gestorben, also etwa 59 Jahre alt. Er liegt am Freiheiter Friedhof
in der Familien-Gruft der Hampels, die aus der Nr. 32 im Juni 1946 vertrieben
wurde. Das Foto, welches ich in sein Büchlein geklebt habe, ist ja ein Jugendbildnis.
Auch mein Großvater musste Soldat werden, natürlich unter dem Kaiser. Er ging
zu den Kaiserjägern und verbrachte die Kriegsjahre meistens an der Italienfront
und natürlich im Hochgebirge. Das weiß ich von meiner Großmutter Anna Hampel,
die die Erde in Thüringen deckt. Wieder zu Hause, glücklicherweise nur mit leichteren
Blessuren, leitete er die Freiheiter Stadtkapelle. Er spielte zwei Instrumente,
Klarinette und Oboe, die von den Eflers uns weggenommen wurden. In seiner Freizeit
war er Hobby-Historiker und arbeitete u. a. an der Stadtgeschichte von Freiheit
und am Familien-Stammbaum. Der übrigens weit zurückreicht, bis zum Brand der
Kirche in Jungbuch, das war in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts, etwa
1730. Aus diesem Kirchensprengel ging die Pfarrei des Bergstädtchens unter dem
"Güldenen Rehorn" hervor.
Die Stadtkapelle von Freiheit setzte sich zusammen aus Geschäftsleuten wie z.
B. dem Dittrich-Rasierer, Benesch-Rauchfangkehrer, Pfeifer-Tischler, Pfeifer-Schuster,
Schier-Klempner, Grünzeug-Rücker, Miksch-Sattler, ein Herr Niederle und vielen
anderen Musikern. Es waren so etwa 25 Blasmusiker. Instrumente waren neben allen
Blechinstrumenten auch Klarinetten und ein Fagott. Alle waren der Sprache nach
und der Zugehörigkeit zu einem Land Österreicher. Die Tschechoslowakei gab es
ja erst seit 1918.
Es gab auch eine kleine Musikkapelle, deren Tendenz aber eher tschechisch war,
so etwa sechs Musiker spielten dort. Als Deutscher spielte bei ihnen der Exner-Tedl
(Thaddäus), der das Amt des Küsters in der Freiheiter Kirche bekleidete, Herr
Karresch, der am Freiheiter Wehr, wo die Paddelboote angekettet waren, wohnte,
und ein Mann, der Povidal hieß und im Haus vom Miksch-Sattler, ganz oben in
der Schräge, wohnte. Zwischen den beiden Musikkörpern herrschte mindestens Funkstille.
Ihre Interessengebiete waren verschieden, die Österreicher spielten in der Turnhalle
bei Festen und Sportveranstaltungen oder auch in Johannisbad bei Kurkonzerten.
Sie trugen Uniformen und sahen ziemlich österreichisch aus. Von der tschechischen
Musikkapelle habe ich einmal ein Foto beim Exner-Annla gesehen, der Tochter
vom Exner-Tedl, sie spielten in Zivil. Exner-Tedl blies eine Tuba.
In den neuen Staat, der nach dem
verlorenen Krieg von Österreich 1919 entstand, waren auch wieder mehrere Nationen
integriert. Tschechen, Slowaken und Ungarn. Es herrschte keine "Liebe"
unter ihnen. Mein Vater sagte mir, dass man damals schon spürte, dass das nicht
gut gehen wird. Die Tschechen haben die Slowaken sehr bevormundet, sie wurden
als "Bauern" bezeichnet, während die Tschechen sich als liberal und
überlegen wähnten. Die Trennung der Slowaken von den Tschechen war ein alter
Wunsch, ließ aber lange auf sich warten. Die Gelegenheit dazu ergab sich nach
dem Zusammenbruch des Kommunismus im Jahre 1989. Viele Tschechen waren darüber
unglücklich, ganz anders wie der slowakische Bevölkerungsteil. Auch den ungeliebten
Ungarn ging es nicht anders als uns. Sie wurden 1945 genau so verjagt wie wir.
Das ist heute noch ein Thema. In Freiheit lebten auch einige Tschechen. Ein
Polizist mit Familie, der Name ist mir unbekannt, eine Familie Glasl, der schon
erwähnte Herr Karresch und die Familie Povidal. Nach dem Kriegsende 1918 war
das Leben in Freiheit plötzlich ganz anders. Auf dem Gemeindeamt musste tschechisch
gesprochen werden. Die Sprache beherrschten aber nur wenige Freiheiter. Die
Riesengebirgler waren immer nach Wien ausgerichtet. Aber die Nadelstiche waren
eigentlich noch ein wenig human. Leider sollte es 27 Jahre später ganz anders
kommen!
In dem Schuhgeschäft meines Vaters änderte sich z. B. alles gravierend. In Freiheit
gab es plötzlich ein Schuhgeschäft, in dem Bata-Schuhe verkauft wurden, die
mit Dumping-Preisen alle anderen Konkurrenten ausbooteten. Der Umsatz in unserem
Schuhgeschäft verringerte sich um etwa 60 Prozent. Aber der Reparatur-Umsatz,
der stieg, ließ uns weiterleben. Die tschechische Sprache war für die Familie
Hampel kein Problem, denn mein Vater und seine Eltern beherrschten sie. Anders
war es bei der Familie meiner Mutter, die in Schatzlar/Brettgrund lebte und
ein Sägewerk (Gatter) betrieb. Dort beherrschte nur einer die tschechische Sprache
und das war der Onkel Pep und der war leider schon ausgezogen. Er arbeitete
beim österreichischen Zoll und wurde dann vom tschechischen Zoll übernommen.
Schon anfangs der zwanziger Jahre stellte die Tschechoslowakei eine Armee auf.
1923 musste mein Vater, Jahrgang 1901, in die tschechische Armee einrücken.
Alle diensttauglichen jungen Burschen aus dem deutschsprachigen Gebiet mussten
dienen. Mein Vater rückte in eine frühere österreichische Kaserne in Jungbunzlau
ein. Die Dienstzeit, der Wehrdienst, betrug drei Jahre. Jeweils in eine tschechische
Einheit kamen die deutschen Wehrpflichtigen und dort durfte nicht deutsch gesprochen
werden. Das war aber für meinen Vater, wie schon bemerkt, kein Problem. Aber
es gab sehr viele, die die Sprache noch lernen mussten und deshalb oft untergebuttert
wurden.
Ende des 19. Jahrhunderts setzte im
Sudetenland, im österreichischen Jargon war es Böhmen und Mähren, eine kolossale
Industrialisierung ein. Wurde in den vergangenen 200 Jahren nach Silber geschürft,
auch ein wenig nach Gold, in der Freiheiter Gegend wurde auch nach Grafit und
Kohle gegraben, aber es war insgesamt nicht ergiebig genug und es wurde wieder
eingestellt. Holz war immer ein Geschäft, aber so ab etwa 1870 entstanden im
Aupatal Papierfabriken, feine und grobe, sprich feines Zigarettenpapier (P.
Piette) und Geldpapier (Eichmann), Karton und grobe Verpackung (Weishuhn). Es
gab Webereien und artverwandte Industrie. Von Parschnitz bis nach Dunkeltal
rauchten die Schornsteine. In Schatzlar gab es Holz- und Porzellanindustrie.
Das ist heute nicht mehr so. Ich fragte bei einem Besuch in Freiheit eine kompetente
Person, von was die Menschen im Aupatal eigentlich leben. Ich erntete nur ein
Achselzucken. Ein wenig Fremdenverkehr, Arbeitslosigkeit, ganz wenig Weberei,
kaum Papier und Karton. Die einzige Industrieanlage, die mir neu erscheint,
ist eine Fabrik gegenüber dem Bahnhaltepunkt in Jungbuch. Es ist wohl Holzverarbeitung.
Aber zurück in die dreißiger Jahre. Die deutschsprachigen Österreicher, wir,
hatten sich im wesentlichen mit dem tschechischen Staat arrangiert. Es gab Bestrebungen,
das tschechische Diktat etwas erträglicher zu gestalten, eine Art Selbstverwaltung
zu erreichen, aber das wurde nicht genehmigt. Vereinzelt wurde demonstriert,
das wurde unterdrückt und es wurde sogar geschossen, in Aussig und auch in Arnau
gab es Tote.
Unser Bergstädtchen war idyllisch ruhig. Da gab es keinerlei Rebellionen. Erst,
als der Braunauer in Deutschland gefestigt war und er in Europa große Töne spuckte,
dann unser Nachbarland Österreich annektiert hatte, da wurde es in Freiheit
auch schon etwas unruhig. Die Deutschen spürten, dass da vielleicht ein wenig
Selbstverwaltung zu erreichen ist. Ich habe aus der Kinderzeit noch eine vage
Erinnerung an eine abendliche Demonstration, bei der viele Freiheiter, zu Teil
mit Fackeln, vom Rathaus zum Wetterhäuschen zogen. Dort wurde eine Rede geredet,
von wem weiß ich natürlich nicht, und abschließend wurde ein Lied gesungen.
Es lautete: "Freiheit ist das Feuer, ist der helle Schein ..." Die
Menschen waren freudig erregt. Also wurde das Tschechische doch als Bevormundung
empfunden. Die Tschechoslowakei baute die Verteidigung aus. Es wurden an den
Grenzen zu Deutschland große und kleine Betonbunker gebaut, tief in der Erde
versenkt und an strategischen Punkten sollten die Deutschen, wenn sie denn kommen
würden, aufgehalten und zurückgeschlagen werden. Nur wurde nicht bedacht, dass
sich die Kriegsführung und die Strategie in den dreißiger Jahren längst total
verändert hatte. Diese Bunkerlinien waren schon veraltet und überholt als sie
fertig wurden. Das war ein Überbleibsel aus dem ersten Weltkrieg. Heute stehen
diese Hässlichkeiten im Gebirge noch herum. Auf der Reußenhöhe, am Ende von
Trautenbach, versucht einer sogar mit dieser traurigen Geschichte etwas Geld
zu machen und will den Passanten etwas die Geschichte erklären. In diesem Bunker
bin ich 1939/40 aus Neugierde schon herumgekrochen, denn unmittelbar neben dem
Bunker ging der Weg ins Tal, steil bergab, zu Großvaters Sägewerk. Der Rückbau
dieser monströsen Bauwerke ist mehr als doppelt so teuer wie der Bau. Gleiches
ist an der französischen Grenze, in Südtirol sowie an der Atlantikküste zu sehen.
Das erinnert uns daran, dass wir keinesfalls wieder einen Krieg anfangen dürfen,
denn der nützt bei den heutigen Vernichtungswaffen, die vorhanden sind, keinem.
In diesem Jahrhundert lechzt jeder Europäer nur noch nach Frieden und daran
müssen wir alle arbeiten!
1938 marschierten die Deutschen, auf Befehl des Braunauers, über die Grenzen
der CSR und besetzten sie. In Freiheit war es ganz still. Die ganz wenigen Tschechen,
die Glasels, der Polizist und die Povidals waren über Nacht weg. Ausnahme war
Herr Karresch vom Freiheiter Wehr. Das merkte ich, als ich zum Karl Glasl zum
Spielen gehen wollte und die Wohnung leer war. Die Glasls wohnten im Haus der
Freiheiter Sparkasse im 2. Stock. Karl hatte bei seinen Spielsachen tschechische
Soldaten, was mich ganz besonders erstaunt hat, denn die anderen Kinder spielten
nur mit deutschen Soldaten, so mit feuerspuckenden Panzern zum Aufziehen. Heute
undenkbar, aber das gibt es wohl heute auch noch. Aber heute spielen die Kinder
mit ganz anderen Sachen, zum Teil auch recht kriegerisch, aber das ist nichts
für unsere Generation!
Als sich die Euphorie und Begeisterung darüber, dass wir jetzt zu Deutschland
gehören, etwas gelegt hatte, gab es natürlich sofort einige Nachahmer, Leute,
die auf die schlimmen Rassethesen des Braunauers setzten. In Freiheit waren
einige wenige sofort bereit, den Hass gegen die Juden zu verkünden und auch
zu befolgen.
Am Freiheiter Ringplatz, neben dem Rathaus, hatte ein Arzt namens Dr. Nettel
seine Praxis. Er war nicht nur Mediziner sondern auch ein Gutmensch. Meine Mama
erzählte mir, dass er Arme umsonst behandelte und es die, die mehr hatten als
sie verbrauchen konnten, zahlen ließ. Auf diesen "Nettel-Dokto" hatten
sich einige Freiheiter Nazis "eingeschossen". An einem frühen Sommerabend
zerrten sie den "Nettel-Dokto", wie er im Volksmund hieß, aus seiner
Praxis am Ringplatz heraus und jagten ihn unter Gejohle und Geschrei aus unserem
Städtchen hinaus. Wie die Geschichte ausging und wo Dr. Nettel letztendlich
landete, weiß keiner, aber man kann es nur vermuten. In einem Artikel in unserer
Heimatzeitung der "Riesengebirgsheimat", stand zu lesen, dass eine
alte Dame, die auf einem Stuhl vor dem Feix-Haus saß, die einzige Person war,
die lauthals protestierte. Aber diese alte Dame wurde verhöhnt. Sie soll gesagt
haben, "Wenn sich das nur nicht rächt ...!" (Besonders hervorgetan
hat sich bei diesem Pogrom ein Mann namens Fiedler. Er besaß eine Gärtnerei
auf dem Terrain, wo heute das Freiheiter Altenheim steht).
Natürlich schlug mit der Zeit die Euphorie durch. Der Freiheiter Pfarrer (Herr
Tschöp), bekam große Schwierigkeiten, weil wir eine Jugendgruppe hatten, die
im Pfarrhaus einen Raum für Zusammenkünfte nutzte. Prompt wurde der "Dienst",
so genannt, auf die Kirchzeit am Sonntagvormittag gelegt. Es herrschte ganz
große Begeisterung unter den Jugendlichen. Es wurde nicht nur mit klingendem
Spiel durchs Städtchen gezogen, sondern es gab auch bald eine Motor-HJ, die
auch ein Motorrad hatte. Es durfte jeder von den Großen einmal fahren und zwar
auf der Straße nach Johannisbad. Gegenüber vom Kulbe-Tischler, im Haus vom Kohlen-Kneifel,
hatte die Motor-HJ ihren Raum. Die Tür wurde später wieder zugemauert. Man sieht
heute noch die Spuren der ehemaligen Tür! Bei der Hitler-Jugend war immer etwas
los. Ich durfte aber nicht dabei sein. Das Ganze begann erst für 10jährige Kinder,
dazu war ich aber zu jung. Mein Nachteil war, dass meine Freunde alle etwas
älter als ich und folglich schon dabei waren. Das ging auch nur mit Uniform.
Als ich neun Jahre alt war, also 1944, habe ich meine Mutter massiv bedrängt,
dass sie mir endlich eine Uniform kauft. Aber Mama sagte mir: "Es gibt
keine Uniformen!" Ich war mit 9 Jahren größer als die Burschen, die schon
mitmarschieren durften, das schmerzte mich. Aber meine Mutter hat gut vorausgesehen!