Quelle: Riesengebirgsheimat Oktober 1952
von Franz Zieneker
Klein, aber fein, ist dies Städtchen mein.
Wenn der Wanderer, Kurgast oder Wintersportler
das Riesengebirge, die Schneekoppe, Johannisbad, das böhmische Gastein, die
Sommerfrischen Gross-Aupa, Petzer, Kleinaupa oder die Gebirgsbauden besuchen
wollte, kam er meistens mit der Lokalbahn der früheren österreichischen Nord-West-Bahn
von Trautenau nach der Endstation Freiheit-Johannisbad. Schon am Bahnhof wurde
er gewahr, dass hier etwas los ist. In früheren Zeiten standen hier am Platz
vor dem Bahnhof 30 40 Fiaker, die, bald voll besetzt und mit dem Gepäck
der Kurgäste und Sommerfrischler beladen, oft auch einige Male abfuhren. Später
traten an Stelle der Kutschen und Landauer die Autos und Omnibusse. Auf schattiger
Allee von Kastanien ging es zur steinernen, dann eisernen Aupabrücke und in
das alte Bergstadtl unter dem güldenen Rehorn, in der ČSR scherzweise die
einzige Freiheit in der ČSR genannt. Schon vor der Brücke zweigten einige
Wege am Friedhof vorbei nach Thalseifen, Antonienthal, Klinge, Glasendorf und
Rehorn ab. Ein Teil der Ausflügler, an Sonntagen sehr viele, benützten diese
Wege zu Tages- und Halbtagsausflügen. Wenn der große Strom der mit der Bahn
Angekommenen durch das saubere Städtchen zog oder fuhr, so kamen am Abend die
meisten wieder durch Freiheit, und so manche, die noch Zeit bis zum letzten
Zuge hatten, benutzten die Gelegenheit, in den vielen Gaststätten der Stadt
noch einige frohe Stunden zu verbringen. Es ließ sich in guter Gesellschaft,
bei schmackhaften Speisen und köstlichem Trank in der Turnhalle, im Rathaus,
bei Rudlof, in Erbens Gasthaus "Stiller Winkel", in der Post (Sabl
Franz), bei Frau Hübner und Frau Ettrich gut sitzen. Sehr beliebt und gesucht
war Kühnels Gasthaus bei der Kirche, Papa Kühnel war weit bekannt. Dort spielte
die Hauskapelle mit dem bekannten Bombas, auch wurde dort getanzt. Papa Kühnel
machte die Gäste wohl auf den letzten Zug aufmerksam, doch öfters zogen diese
vor, zu Fuß nach Hause zu gehen, "weil´s zu schien wor".
Die Fremden heimelte die Sauberkeit der Gaststätten, die Freundlichkeit der
Gastwirte und der Bedienung immer an, so dass mit der Zeit auch Freiheit ein
beliebtes Ausflugsziel wurde.
Freiheit hatte vor der Austreibung zirka 1500 Einwohner und gegen 270 Hausnummern.
An Industrieunternehmungen sind zu zählen die Wachskerzen- und Seifenfabrik
Franz Stephan mit zirka 60 Arbeitern und Angestellten. Die Erzeugnisse dieser
Firma genossen schon im alten Österreich und auch in der ČSR. den besten
Ruf. An der Johannisbader Straße war die Firma Wenzel Schneider, welche Schlittschuhe,
Bügeleisen, Skibindungen u. a. erzeugte und auch 50
60 Gefolgschaftsmitglieder zählte. Auch die Erzeugnisse dieser Firma hatten
guten Ruf und Absatz. Weiter waren in Freiheit eine Holzspulenfabrik und das
Beiwerk der Firma P. Piette, ferner zwei Baugeschäfte und das Zentralbüro der
Firma Joh. A. Fiebiger, Pappenfabriken in Jungbuch und Marschendorf IV. Teile
der Belegschaften der großen Papierfabriken Eichmann & Co und P. Piette
in Marschendorf I, der Papierfabrik Weißhuhn, Dachpappenfabrik Aug. Fiebiger
und Kalkwerke Bischof, letztere drei in Oberjungbuch, wohnten in Freiheit. Baulich
waren genannte zwei Orte an Freiheit angeschlossen, so dass sich hier ein Gebiet
von zirka 4 000 Einwohnern ergab. Dadurch war auch das Handwerk und der Handel
hervorragend vertreten. Es gab in Freiheit größere Kolonialwaren-, Textil- und
Modewaren-, Schuhwaren- und Eisenwarengeschäfte, einige Konditoreien und das
bekannte Café Illner, Bäckereien, Fleischereien usw., zwei Drogerien, eine Apotheke,
vier Ärzte, ferner eine Autoreparaturwerkstatt, vier größere Tischlereien und
zwei Schlosser. Im Dritten Reich war in Freiheit das Zentral-Postamt für das
ganze Gebirge bis Petzer und Kleinaupa. In Freiheit befand sich auch das modern
eingerichtete Erholungsheim der Bezirkskrankenkassen Trautenau, Hohenelbe, Braunau,
in welchem jetzt viele deutsche Klosterschwestern wohnen, die als Arbeiterinnen
in den Spinnereien Dunkelthal, Jungbuch und Oberaltstadt arbeiten. Die unter
Bürgermeister Franz Stephan erbaute Volks- und Bürgerschule war eine der schönsten
Schulbauten im Bezirk Trautenau. Eingeschult in die Volksschule Freiheit war
der Ortsteil Oberjungbuch. Im Schulgebäude, das einen großen Turnsaal, eine
Schulküche, die Wohnungen für den Schuldirektor und Schuldiener und die Schulsäle
enthielt, war auch das reichhaltige und sehenswerte Heimatmuseum untergebracht,
das der Museumsverein unter der Leitung von Bürgermeister Rudolf Lissak errichtete.
Die Kirche wurde im Jahre 1777 vom Fürsten Schwarzenberg in ihrer jetzigen Form
umgebaut und 1836 ein neuer Turm angebaut. Der alte Turm befand sich am Berge
neben der Kirche. Vom H. H. Pfarrer und bischöflichen Vikar Wenzel Fuchs wurde
das Dach des Turmes in seiner jetzigen Form aus eigenen Kosten gebaut, unter
Pfarrer Müller das Sanktustürmchen neu hergestellt. Unter den Pfarrern Meyer,
Müller und Pluta erfolgten gründliche Renovierungen und Restaurierungen innen
und außen und wurde schließlich die Decke mit Fresko-Malereien versehen. Nach
dem ersten Weltkriege erfolgte die Anschaffung eines neuen Geläutes, das allerdings
im zweiten Weltkriege wieder abgenommen wurde. Die Kirche war unser Stolz und
unsere Freude und ist nun unsere Sehnsucht. Als uns der letzte Seelsorger von
Freiheit, Pfarrer Josef Tschöp, aus seiner Verbannung in der Ostzone ein Bildchen
des Muttergottes-Seitenaltars sandte, sind gewiss allen die Augen feucht geworden,
nicht nur über das Bildchen selbst, sondern auch wegen des von uns geliebten
und verehrten Priesters.
Am Ringplatz steht das im Jahre 1869 erbaute Rathaus. Unten befindet sich eine
Gastwirtschaft, im ersten Stock der Rathaussaal mit einigen Nebenzimmern. Neben
dem Rathaus befindet sich das Stiftshaus. Der Fabrikbesitzer Ignaz Etrich in
Oberaltstadt schenkte seiner Heimatstadt dies Haus, in dem sich die Gemeindekanzlei,
das Bürgermeisterzimmer, der Sitzungssaal und das Archiv befinden. Neben dem
Stiftshaus, im Eck zur Gebirgsstraße, wurde unter Bürgermeister Lissak das neue
Gebäude der Stadt Freiheiter Sparkasse gebaut. Im Erdgeschoss befinden sich
die Sparkasseräumlichkeiten, im ersten Stock die Gendarmerie, im zweiten Stock
Privatwohnungen. Die Sparkasse Freiheit, unter Bürgermeister Stephan ins Leben
gerufen, war ein ganz bedeutendes Geldinstitut, und nicht zuletzt durch die
Industrie und durch den Kurort Johannisbad nahm sie großen Aufschwung.
Am Ringplatz befindet sich eine Heiligengruppe, St. Antonius, St. Florianus,
in der Mitte die Muttergottes. Diese wertvolle künstlerische Heiligengruppe
soll jetzt noch am selben Platz stehen. Schon im alten Österreich wollten einige
Herren in der Gemeindevertretung diese Gruppe vom Ringplatz auf den alten Friedhof
versetzen, doch das Staatsdenkmalamt verhinderte dies. Auch im Dritten Reich
kamen diese Bestrebungen wieder auf. Das rasche Ende der nationalsozialistischen
Herrschaft machte sie zu schanden. Ein anderes religiöses Denkmal, eine Statue
Maria Krönung bei der Fabrik Schneider, steht auch noch an derselben Stelle.
Vom religiösen Sinn unserer Vorfahren zeigen die steinernen Kreuze bei der Mühle
(hier war früher das hölzerne Mühlkreuz) auf der Lehmgrube und das früher unweit
der Aupabrücke und jetzt am neuen Friedhof stehende Kreuz. Bei der Aupabrücke
steht die Statue des hl. Johann von Nepomuk. Auf den Fluren stehen die Feix-Kapelle
und die Hutter-(Finger)-Kapelle, auch Schutzkapelle genannt, sowie die Klippel-Kapelle.
Neben der Pfarrkirche befand sich das von dem Trautenauer Bildhauer Schwandtner
geschaffene Kriegerdenkmal der Gefallenen des ersten Weltkrieges. Um die Errichtung
dieses Denkmals machten sich der Vorstand des Bundes gedienter Soldaten Wenzel
Hofmann und Bürgermeister Lissak besonders verdient. Dieses Denkmal wurde von
den Čechen zerschlagen. An der Kreuzung Hauptstraße, Bahnhofstraße und
Kirchengasse stand eine schöne, steinerne Wetterwarte, die uns wohl gute und
schlechte Witterung, aber nicht gute und schlechte Zeiten anzeigte. Am Ringplatz
stehen heute noch vier hölzerne Laubenhäuser als letztes Zeichen von Alt-Freiheit.
In der Hauptstraße ist das Haus Nr. 106, in welchem Kaiser Josef II. bei seinem
Besuche im Riesengebirge gewohnt hat. An demselben befand sich eine Gedenktafel,
die über Auftrag der Čechen in das Heimatmuseum zur Aufbewahrung kam.
In Freiheit bestand auch ein reges Vereinsleben. Im Jahre 1868 wurde die freiwillige
Turn-Feuerwehr gegründet. Als kleiner Bub bin ich oft bei den Übungen der Wehr
gewesen. Da war die alte rote Feuerspritze, die damals schon fast 100 Jahre
alt war, die etwas jüngere grüne Spritze und der Zubringer. Wie wunderten wir
uns Jungen, wenn der Spritzenmeister das blitzende Strahlrohr nach allen Seiten
drehen konnte. Vier lange Leitern wurden von den Steigern zur Pyramide zusammengestellt
und am Steigerhaus bei der Aupa stiegen die Steiger hoch und nieder. Am Eingang
des Steigerhauses stand ein Barren, ein Zeichen, dass die Feuerwehr auch turnte.
Zum 40jährigen Stiftungsfest wurde eine große Magirusleiter (Schubleiter) angeschafft
und später eine Motorspritze.
Wohl um dieselbe Zeit wurde der Dilettantenverein gegründet, aus dem später
der Männergesangverein "Harmonie" hervorging. Zu diesem kam wieder
später der Damenchor. Unter Chormeister Alois Kühnel, welcher auch als Chorregent
ein halbes Jahrhundert an der Pfarrkirche wirkte, war die "Harmonie"
in höchster Blüte.
Im Jahre 1878 entstand der Militär-Veteranen-Verein in der ČSR. Bund gedienter
Soldaten und schließlich im Reich Kriegerverein genannt. Seine bekanntesten
Vorstände waren Johann Schubert, Johann Kneifel und Wenzel Hofmann.
Anfang der achtziger Jahre dürfte der Turnverein gegründet worden sein. Wegen
seiner vielen Mitglieder in Marschendorf hieß er Deutscher Turnverein Freiheit-Marschendorf.
Dieser Verein war äußerst tätig und rührig. Unter seinem Sprechwart Alexander
Mandl wurde im Jahre 1897 die große, schöne Turnhalle an der Gebirgsstraße gebaut.
Die Einweihung besorgte das Hochwasser im Juli 1897. Die Turnhalle besaß den
größten und schönsten Saal der ganzen Gegend. Die fleißigen Turner besuchten
die großen Turnfeste der Deutschen Turnerschaft in Breslau, Hamburg, Nürnberg
u. a. Ein reges Leben herrschte in seinem Gastbetrieb. Hier fanden auch alljährlich
die großen Turner- und Maskenbälle, der Faschings-Kehraus und die Silvesterfeiern
statt. Unter Bürgermeister Feix wurde das städtische Kino im Saal eingerichtet
und unter Bürgermeister Just die Tonfilm-Apparatur. Auch eine Kegelbahn befand
sich hier und auf dem großen Turnplatz eine geräumige Veranda. Um den Turnverein
haben sich außer dem bereits genannten Sprechwart Mandl besonders verdient gemacht
Ehrenturnwart Aust und Turnwart Feist.
Außer den bereits genannten vier großen Vereinen bestanden noch eine ganze Anzahl
gemeinnützige, Schutzvereine und Tischgesellschaften sowie politische Vereinigungen.
Erwähnen möchte ich aber doch den katholischen Kirchenerhaltungs- und Verschönerungsverein,
der 1902 vom Pfarrer Franz Meyer und Bürgermeister Stephan gegründet wurde und
bis zu seiner Auflösung 1938, bei der Eingliederung ins Reich, eine überaus
segensreiche Tätigkeit ausübte. Über 300 Mitglieder stark, hat er die Jahre
über mehr als 200 000 Kč aufgebracht und gesammelt und konnte so die Kirche
von innen und außen so herrichten, dass sie ein Schmuckstück von Würde und Sauberkeit,
eine Zierde der Stadt und die Freude der Besucher wurde. Auch der katholische
Frauenbund hat in caritativer Arbeit vieles geleistet, viele Spendenpakete ins
Adler- und Erzgebirge gesandt und den Priesternachwuchs tatkräftig unterstützt.
Es würde zu weit führen, jeden einzelnen Verein anzuführen und über seine Tätigkeit
zu berichten, obzwar viel Arbeit und uneigennützige Tätigkeit des Lobes und
Dankes wert wäre. Zudem fehlen mir die meisten Unterlagen.
Freiheit besaß schon in meiner Jugendzeit eine gute Wasserleitung. Auch zwei
große Kasten-Röhrenbrunnen standen am Ringplatz und am Ende der Hauptstraße
und Beginn der Bahnhofstraße. Unter Bürgermeister Stephan wurde dann die große
Hochquellenleitung gebaut, und es sei lobenswert hervorgehoben, dass der Schlossermeister
Just diese Leitung mustergültig legte. Unter Bürgermeister Just wurde ein zweiter
Hauptstrang an der Lehmgrube neu hergestellt. Auch eine Gasanstalt besaß die
Stadt, doch wurde diese nach Einführung des elektrischen Lichtes stillgelegt.
In der Gasanstalt befand sich zuletzt das Spritzenhaus und die Tischlerei Ruffer.
Am Talweg nach Johannisbad befand sich eine Eisenquelle, Kaiserquelle genannt.
Von Freiheit aus waren viele Ausflugsorte auf bequemen und schattigen Waldwegen
zu erreichen. Nach Johannisbad führten zwei Straßen, der Talweg, einige Wege
durch den Promenadenwald und über den Beerhügel. Das herrlich gelegene und schöne
Bad war der beliebteste Ausflugsort der Freiheiter. Die heilkräftigen Bäder,
die Konzerte der Kurkapelle, auch freundschaftliche und geschäftliche Beziehungen
zur dortigen Bewohnerschaft waren Ursache eines regen Verkehres.
Auch Feste verstanden die Freiheiter zu feiern. Da waren in früheren Jahren
noch die Gaufeste des Feuerwehr-Gauverbandes, wo auch die Wehren des Königinhof
er Bezirkes teilnahmen; die Gaufeste des Aupa-, Elbe- und Riesengebirgs-Turngaues,
die Gründungsfeste der Vereine, die Enthüllung des Kriegerdenkmales. Wer erinnert
sich nicht des Bundesfestes im Jahre 1923? Damals hatten die Čechen die
Hissung deutscher Fahnen verboten und da prangte die ganze Stadt im Schmuck
von Girlanden und Blumen, ganze Alleen von Birkenbäumchen umsäumten die Straßen.
Der Festzug war damals einzig und die Freude und Begeisterung sehr groß. Ganz
groß war stets das Freiheiter Kirchenfest am 16. Mai, dem Tage St. Johann von
Nepomuks. Hunderte von Händlern und Tausende von Besuchern waren anwesend. Die
Hauptstraße und der Ringplatz waren meist so verstopft, dass ein Durchkommen
fast unmöglich war. Dieser Tag war früher ein staatlicher und kirchlicher Feiertag,
und da an diesem Tage auch die Eröffnung der Saison in Johannisbad war, hatten
die Kutschen der Herrschaften ihre liebe Not, in dem Gewimmel durchzukommen.
Auch die kirchlichen Feste, das Fronleichnamsfest, die Auferstehungsfeier, wurden
prunkvoll, aber würdig begangen. Die Florianiprozession, zu welcher auch die
Wehren von Johannisbad und Marschendorf I erschienen, war stets sehr feierlich.
So ist dieses Städtchen, in dem ich geboren, dessen Schulbank ich gedrückt,
in dessen Kirche ich beim H. H. Vikar Fuchs ministrierte, dessen Leiden und
Freuden ich miterlebte, mir ans Herz gewachsen. Viele der alten Freiheiter sind
schon in die ewige Heimat eingegangen und am Heimatfriedhof gebettet. Sehr viele
aber auch hinausgetrieben in die Fremde wie Bettler und Verbrecher und haben
fern von der Heimat ihre letzte Ruhestätte gefunden. Mag es auch in der Fremde
schöne Gegenden, herrliche Landschaften und prächtige Baudenkmäler geben, ich
wäre zufrieden, wäre ich in Freiheit in Freiheit!