Eines Morgens hält Rübezahl Bergandacht.
Der Zackelfall spielt die Orgel, in den Felsengestühlen stehen die Fichten und
singen ein rauschende Weise mit. Die heilige Musik verrinnt in die Täler abwärts,
und eine rauschende Welle streift das Ohr Emmas, der Fürstentochter. Sie geht
den Tönen nach, die zarter sind, als der Kuss einer Mutter und gewaltiger erdröhnen
als das Echo gesprengter Felsen.
Die Fürstentochter schleicht sich bis an die himmlische Bergkette Rübezahls,
aus der der wunderbare Chor strömt. Sie steht stille, aber ihr knisterndes Seidenkleid,
das der Wind bewegt, verrät sie.
Rübezahl erblickt die Anmutige. Ihr Schrecken macht sie noch schöner
sie will fliehen, Rübezahl aber hält sie fest und schwört ihr seine Liebe. Sie
öffnet den Mund: "Hilfe . . ."! Der Schrei erstickt im Gebrause der
Natur, und schnell drückt Rübezahl die Ängstliche in seine Arme und trägt sie
auf sein Bergschloss, so eilig und so leicht, dass kein menschliches Wesen es
gewahr wird. Das arme Kind weint umsonst und verlangt vergebens nach den Eltern.
Rübezahl baut in wenigen Tagen den Rehorn und füllt die Bergkammern mit dem
lautersten Gold, um der Herzensgespielin die Trauer zu nehmen. Er wähnt, ihr
Heimweh so zu besiegen. Und dass sie nach Art der Könige, die auf den Dächern
ihrer Paläste lustwandeln, auf der unebenen Fläche des Rehorns spazieren gehen
könne, pflanzt er einen blumigen Garten darauf, wie es keinen schöneren gibt
weit und breit. Denn tritt sie aus ihrem Gemach ins Freie, soll ihr lieblicher
Fuß über duftige Gräser schreiten und der Wohlgeruch der süßesten Honigkräuter
sie umwehen und der Glanz von Millionen farbiger Sterne in ihr helles Auge lachen.
So sorgte der ritterliche Buhle für seine Emma und ließ es an nichts fehlen,
um ihr Herz als Gatte zu gewinnen.
Über all dieser Pracht und dem Reichtum, den Rübezahl dem geliebten Wesen zu
Füßen schüttete, vergaß die Holde des Menschengeschlechtes nicht und sann beständig
auf Flucht. Wie sollte es auch anders sein?
Keine Miene verriet die heimlichen Gedanken. Sie tat, als ob sie sich mit ihrem
Schicksal abgefunden und drängte Rübezahl, ihr ein Badehaus zu bauen. Er zögerte,
aber sie wurde unwillig; endlich versprach er ihren Wunsch zu erfüllen.
Die Kluge hatte den Gewaltigen überlistet. Als er nach einigen Tagen heimkam,
war sie fort.
Er suchte und rief sie, aber ihre Stimme antwortete nicht. Er wurde missmutig
und ließ den Rehorn verfallen.
Seitdem ist das Gold darin verschwunden und der Park verwildert. Die Menschen
steigen nun hinauf auf schweren Sohlen und zertrampeln die zarten Blumen, geschaffen
nur für Elfenfüßchen.
Und doch! Trittst du heute noch auf die Hänge des Rehorns, du spürst den Zauber
des einstigen Eden.
Eine von vielen bunten Wiesen im Rehorn
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Eine der blühenden Blüten
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